Der Lilienduft
Der Sommer beginnt für mich, wenn Lilien anfangen zu blühen. Ihren göttlichen, betäubenden Duft liebe ich seit meiner Kindheit. Denn die Lilienblütezeit ist Sommerferienzeit.
Und den Sommer verbrachte ich in Oberkunzendorf bei Kreuzburg, bei meiner Oma. Meine Oma war eine treue Kirchengängerin, und natürlich musste auch ich, ohne Wenn und Aber, mit ihr zu der kleinen Oberkunzendorfer Kirche – mehrmals die Woche.

Foto: Sławomir Milejski/Wikipedia
Und im Juli war die Kirche in Oberkunzendorf ein richtiger Liliengarten. Die Klosterschwestern stellten überall Vasen mit Lilien auf. Beim Reingehen wurde ich sofort von dem verführerischen Duft gepackt und nicht mehr losgelassen. Berauscht vom Lilienduft hörte ich kaum, was der Pfarrer zu sagen hatte. Ich ließ die Seele baumeln in dieser himmlischen Lilienwelt. Ich glaube, Oma war auch ein bisschen benommen, denn sie achtete kaum darauf, dass ich überhaupt nicht mitgebetet habe.

Es war die Schuld der Lilien – die übrigens wohl nur dort, in dem Klostergarten in Oberkunzendorf, so riesengroß wuchsen: wie im Dschungel, wie Bäume, mit gigantischen Kelchen.
Die Klosterschwestern sind aus Oberkunzendorf weggezogen, und ich weiß nicht, was mit ihrem Garten passiert ist. Ich hoffe, die Lilien wachsen dort immer noch. Wenn jemand von euch dieser Tage durch Oberkunzendorf fährt, schaut mal bei der schönen kleinen Kirche vorbei. Es kann durchaus sein, dass ihr dort einen Liliengarten vorfindet.

Nachwort:

Lilienduft hin oder her: Es lohnt sich wirklich die charmante kleine Kirche in Oberkunzendorf (Kuajkowice Górne) zu besuchen. Und das sage ich nicht nur, weil ich dort getauft wurde. Sie beherbergt einen wunderschönen neobarocken Altar, imposante Orgel und eine exquisite Kanzel. Und im Sommer ist es dort immer angenehm kühl.