Ich wurde am 23. April 1934 in Gollasowitz als Lidia Watut und jüngstes von sieben Kindern geboren. Wir waren sechs Schwestern und ein Bruder. Die meisten Einwohner von Gollasowitz und Charlottendorf, wo ich zur Welt kam, waren deutsche Evangelische. Auch meine Familie gehörte zu dieser Gruppe.
Als ich geboren wurde, gehörte Gollasowitz zu Polen, aber in unserem Charlottendorf lebten nur zwei polnische, katholische Familien. Meine Vorfahren kamen während der Gegenreformation aus Österreich in diese Gegend, daher hat unsere Familie immer Deutsch gesprochen. Meine älteren Schwestern besuchten eine deutsche Schule, obwohl wir in Polen lebten. Vor dem Krieg war das überhaupt kein Problem. Wir hatten einen Bauernhof, 10 Hektar Land und mein Vater war Zimmermann. Dank seiner Arbeit wurden fast alle Dächer in Gollasowitz gebaut. Mama kümmerte sich um das Haus. Für die Geburt so vieler Kinder erhielt sie von Nazi-Deutschland eine Auszeichnung mit dem Titel „Die Kinderreiche Mutter“.
Ich habe eine Chronik der Familie Watut auf Deutsch geschrieben, die meine gesamte Familiengeschichte enthält.
Krieg
Als der Krieg ausbrach, wurde mein Bruder zur Armee eingezogen und meine Schwester ging zum Kriegshilfsdienst. 1940 begann ich, an einer deutschen Grundschule zu lernen. Die Front rückte näher, Hitler war dabei, den Krieg zu verlieren, und unsere Lage verschlechterte sich. Die Deutschen evakuierten ihre Leute nach Tschechien, aber wir blieben. Dann kamen die Russen. Lieber Gott, was war das für ein Pöbel – sie haben geraubt und vergewaltigt. Unser Haus brannte nieder und mein Vater und mein Bruder reparierten das Dach. Bald darauf kamen Polen aus der Ukraine, wir nannten sie „Hadziaje“. Wir mussten das Haus sofort verlassen, so, wie wir dastanden. Mein Vater, eine meiner Schwestern und mein Bruder wurden in das Lager in Slawentzitz weggebracht, aber mein Bruder und meine Schwester konnten unterwegs fliehen. Mein Vater kam in das Lager und wurde dort brutal zusammengeschlagen. Damals lebten meine Mutter und ich in einer ehemaligen deutschen evangelischen Schule und mein Vater kehrte nach zwei Monaten furchtbar erschöpft zurück, erholte sich aber mit der Zeit.
Schule
Damit wir in Schlesien bleiben durften, musste sich meine Mutter dem sogenannten Rehabilitationsprozess unterziehen und jeden Monat vor dem Sohrauer Gericht erscheinen. Sie erhielt eine offizielle Rehabilitationsbescheinigung. In der Zwischenzeit wurde eine polnische Schule eröffnet, deren Direktorin die Deutschen hasste. Ich ging dorthin, weil ich lernen wollte, aber sie warf mich hinaus, sodass ich meine Schulbildung nicht mehr fortsetzen konnte. Nach einiger Zeit versuchte ich es erneut. Diesmal traf ich auf einen anderen Lehrer, der mich auf eine Bank setzte und mir ein Buch auf Polnisch gab. Ich kannte die Sprache nicht. Ich fragte mich, was diese Buchstaben mit „Schleifen“ und „Häkchen“ sind. Ich war am Boden zerstört, aber der Lehrer sagte: „Du wirst es lernen“. Als ich wieder nach Hause kam, schrieb mir die Schwiegermutter meines Bruders das polnische Alphabet auf, einschließlich der Buchstaben ą, ę und ć. Nach zwei Wochen konnte ich lesen – langsam, aber fließend. In der siebten Klasse ging ich in Pilgramsdorf zur Schule, wo deutsche Kinder nicht diskriminiert wurden. Nach meinem Schulabschluss wollte ich unbedingt meine Ausbildung fortsetzen, aber wir konnten es uns nicht leisten. Ich bestand die Aufnahmeprüfung für eine Mittelschule in Gleiwitz, aber wir hatten kein Geld für das Internat, die Fahrkarten und die Bücher. Ich war damals 14 Jahre alt. Stattdessen ging ich auf eine Berufsschule, wo ich Schneiderin lernte.
Familie
Meine Eltern hofften immer, dass wir auf unseren Bauernhof zurückkehren würden. Jetzt lebt Banduras Enkel dort und ich weiß, dass es für immer verloren ist. Meine Mutter starb 1953, als ich 19 war. Im folgenden Jahr heiratete ich Wilhelm Friedrich Steuerwald und ein Jahr später wurde unsere erste Tochter geboren. Wir haben drei Kinder. Unmittelbar nach dem Krieg wurde alles Deutsche unterdrückt, sodass meine Schwiegermutter ihren Nachnamen ändern musste. Mein Schwiegervater, der Bergmann war, wurde zur Arbeit nach Russland deportiert, wo er starb. Meine Schwiegermutter stammte aus der Familie Korek – sie war Deutsche, aber der Nachname klang polnisch und wurde daher nach dem Krieg beibehalten. Deshalb heiße ich auch Lidia Korek.
Nach dem Krieg wohnten wir in einer evangelischen Schule, die später abbrannte. Sie hatte ein Strohdach. Mein Vater musste dann bei einer meiner Schwestern einziehen. Ich war bereits verheiratet und mein Mann arbeitete in einem Bergwerk. Wir bekamen eine Wohnung in Quallwitz. Dann wechselte mein Mann in die Borynia-Grube in Sohrau, also zogen wir nach Sohrau. Von da an verlief unser Leben friedlicher, aber wir erzählten noch immer niemandem, dass wir Deutsche waren – nicht einmal unseren Kindern. Wir waren immer von Angst begleitet.
Minderheit
Im Juni 1990 meldete ich mich beim DFK Rybnik an. Im Dezember gründete Josef Krause eine Ortsgruppe in Sohrau und ich wechselte dorthin. Er wurde Vorsitzender und ich wurde Schatzmeisterin. Wir haben diesen Kreis gemeinsam geführt, bis wir alt wurden. Jetzt wird die Ortsgruppe von Jola geleitet. Am Anfang hatten wir etwa 600 Mitglieder. Wir organisierten Ausflüge, monatliche Treffen und Deutschkurse. Es war eine große Freude, Deutsch sprechen zu können.
Erinnerung
Ich bin jetzt ein alter Mensch, aber ich werde nicht vergessen, was ich erlebt habe. Die Kriegs- und Nachkriegsereignisse haben sich für immer in meine Erinnerung eingebrannt. Manchmal kann ich mich nicht daran erinnern, was ich gestern getan habe, aber jene Momente kann man nicht vergessen. Meine Schwester brachte in einem Keller ihr erstes Baby zur Welt, das ununterbrochen weinte und sechs Monate später starb. Mein Vater machte ihm selbst einen Sarg. Es waren schwere Zeiten. Eine meiner Schwestern musste als Deutsche auf einem Bauernhof arbeiten, eine andere putzte auf einer Polizeistation, wo sie vom Kommandanten geschlagen und vergewaltigt wurde. Das in Rybnik errichtete Denkmal der Oberschlesischen Tragödie haben wir uns wirklich verdient. Mein Bruder und meine Schwester gingen nach Deutschland. Aber wenn sie „bei uns“ sagten, hatten sie immer Schlesien im Sinn. Sie hatten Wohnungen, Familien und ein gutes Leben in Deutschland, doch Schlesien blieb für immer ihre Heimat.